Pestizide im Trinkwasser: Grosse Verzögerungen in der Umsetzung neuer Grenzwerte

Ende 2023 wurde das Pestizid S-Metolachlor von der Europäischen Union verboten und als vermutlich krebserregend eingestuft. Dieser Unkrautvernichter, der besonders im Maisanbau häufig verwendet wurde, gerät damit ins Visier der Behörden.

Die Schweiz zog nach: Seit dem 1. Juli 2024 gilt der Verkauf von S-Metolachlor auch hierzulande als verboten, es darf aber bis zum 1. Januar 2025 weiterverwendet werden. Die neuen Grenzwerte sollen von den Wasserversorgungen aber bereits ab dem 1. Oktober 2024 eingehalten werden – ein Problem, das die Trinkwasserqualität in vielen Schweizer Gemeinden direkt betrifft.

Wie gelangt S-Metolachlor in unser Trinkwasser?

In der Schweiz wurden in den letzten 15 Jahren rund 370 Tonnen S-Metolachlor versprüht. S-Metolachlor zerfällt nach dem Ausbringen durch Regen in zahlreiche Abbauprodukte, sogenannte Metaboliten. Diese werden ins Grundwasser gespült und gelangen schliesslich in unser Trinkwasser. Da die Substanz über Jahre hinweg grossflächig auf Feldern eingesetzt wurde, sind die Rückstände vielerorts präsent und stellen eine ernstzunehmende Belastung dar.

Wie schädlich sind diese Abbauprodukte?

Während die Abbauprodukte von S-Metolachlor nicht akut toxisch sind und das Trinkwasser weiterhin konsumiert werden kann, stufen sowohl die EU als auch die Schweiz sie neu als relevant ein. Dies hat zur Folge, dass der Grenzwert für diese Stoffe deutlich verschärft wurde – von ehemals 10 Mikrogramm pro Liter auf nur noch 0,1 Mikrogramm pro Liter. Zwar sind direkte Gesundheitsgefahren kurzfristig nicht nachgewiesen, doch langfristige Auswirkungen auf den menschlichen Körper lassen sich nicht ausschliessen.

Welche Auswirkungen hat dies auf die Schweizer Wasserversorger?

In der Schweiz übertreffen viele Gemeinden diese neuen Grenzwerte, insbesondere im Mittelland, wo bis zu hunderttausend Haushalte betroffen sind. Spätestens ab Oktober 2024 sollen die Wasserversorgungen sicherstellen, dass die neuen Richtlinien für die Trinkwasserqualität eingehalten werden. Die Umsetzung wird für einige Gemeinden jedoch eine erhebliche Herausforderung darstellen.

Grosse Verzögerungen vom Verbot bis zur Umsetzung neuer Grenzwerte in der EU

S-Metolachlor war in der EU ursprünglich nur bis 2015 zugelassen, und die Risiken hätten zu diesem Zeitpunkt neu bewertet werden sollen. Doch das Verfahren verzögerte sich um fast neun Jahre. Laut Konstantin Kuppe vom deutschen Umwelt-Bundesamt sind solche Verzögerungen in der EU eher die Regel als eine Seltenheit, was die Dringlichkeit solcher Massnahmen infrage stellt. Auch in der Schweiz gab es ähnliche Verzögerungen bei der Überprüfung des Pestizids.

Auch in der Schweiz wurde ein Verbot auf die lange Bank geschoben

In den letzten zehn Jahren wurde S-Metolachlor in der Schweiz zweimal unabhängig von der EU überprüft. Hans Maurer, Chemiker und Anwalt, der 2019 Akteneinsicht in eine dieser Überprüfungen erhielt, vertritt Umweltorganisationen und zeigte sich entsetzt über die mangelnde Berücksichtigung des Risikos für Amphibien. Aus den Unterlagen war klar ersichtlich, dass S-Metolachlor eine ernsthafte Gefahr für Säugetiere und Wasserorganismen darstellt. Trotz dieser Erkenntnisse und seiner Inerventionen wurde das Pestizid bis Mitte 2024 nicht verboten.

Der Fall weckt Erinnerungen an das Pilzgift Chlorothalonil

Bereits vor etwa vier Jahren gab es in der Schweiz einen ähnlichen Fall mit dem Fungizid Chlorothalonil, dessen Einsatz 2020 verboten wurde. Das Trinkwasser musste für rund eine Million Menschen neu aufbereitet werden. In betroffenen Gemeinden wurden Quellen stillgelegt und belastetes Trinkwasser verdünnt. Auch bei Chlorothalonil dauerte es Jahre, bis die neuen Grenzwerte eingehalten wurden. Ähnliches könnte sich auch im Fall von S-Metolachlor wiederholen.

Auch bei S-Metolachlor gibt es wieder Verzögerungen

Die neuen Grenzwerte für die Abbauprodukte von S-Metolachlor gelten in der Schweiz seit dem 1. Januar 2024, seit dem 1. Oktober sind die Wasserversorgungen verpflichtet, diese auch einzuhalten. Allerdings verzichtete der Bund bis Mitte des Jahres darauf, die Kantonschemiker, die für die Überwachung der Grenzwerte zuständig sind, darüber zu informieren. Dies könnte dazu führen, dass die Einhaltung der strengeren Richtlinien in einigen Regionen weiter verzögert wird.

Auswirkungen für Wasserversorgungen mit zu hohen Grenzwerten sind weitreichend

Besonders im Seeland, wo früher im Ackerbau sowohl Chlorothalonil als auch S-Metolachlor intensiv eingesetzt wurden, werden die neuen Grenzwerte teils um das Zwanzigfache überschritten. Wasserversorgungen müssen ganze Wasserreservoire stilllegen oder das Trinkwasser umfassend reinigen. Die effektivste Methode, um die Metaboliten von S-Metolachlor zu entfernen, ist die Aktivkohlefiltration. Dies erfordert jedoch hohe Investitionen und langwierige technische Anpassungen.

Die Kosten für die Wasseraufbereitung sind enorm

Die Kosten für die Wasseraufbereitung zur Einhaltung der strengeren Grenzwerte sind enorm. Roman Wiget, Geschäftsführer der Wasserversorgung Seeland, schätzt, dass allein im Mittelland mehrere hundert Millionen Franken aufgewendet werden müssen. Die Konsumenten tragen die finanziellen Folgen dafür, dass der Bund die Pestizide in der Vergangenheit zu fahrlässig reguliert hat. Die Wasserversorgung Seeland prüft momentan eine Haftungsklage gegen das Bundesamt für Landwirtschaft, um die Gebührenzahler vor diesen zusätzlichen Belastungen zu schützen.

Fazit zu den Fällen Chlorothalonil und S-Metolachlor

Die Wasserversorger werden alles daran setzen, ihren Bezügern die bestmögliche Wasserqualität bieten zu können. Viele haben bereits Massnahmen getroffen, um die Werte der S-Metolachlor Metaboliten zu senken. Erfahrungen mit Chlorothalonil zeigen aber auch, dass es Jahre dauern kann, bis sie die neuen Grenzwerte vollständig einhalten können. Ähnliche Verzögerungen sind auch bei S-Metolachlor zu erwarten, insbesondere weil dies bis Januar 2025 weiterhin eingesetzt werden darf.

In einigen Gemeinden wird es möglich sein, gewisse Wasserquellen ausser Betrieb zu nehmen und nicht mehr in die Wasserversorgung einzuspeisen. Bei Quellwasser ist die Belastung mit Metaboliten in der Regel deutlich höher als beim Grundwasser. In stark belasteten Regionen wie dem Seeland sind die Werte allerdings auch im Grundwasser deutlich zu hoch.

Zudem gibt es auch Gemeinden, welche auf zusätzliches Quellwasser angewiesen sind. Diese können nicht einfach sämtliche Quellen von Wassernetz trennen. In diesen Fällen wird den Gemeinden nichts anderes übrig bleiben, als das gesamte Wasser von der Netzseite her mit Aktivkohle zu filtern, um die vorgeschriebenen Grenzwerte einhalten zu können. Ein solcher Umbau des Wassernetzes ist jedoch mit grossen Kosten verbunden und dürfte ebenfalls wieder einiges an Zeit in Anspruch nehmen.

Dem Konsument bleibt vorläufig nichts anderes übrig, als sich bei seinem Wasserversorger über die Einhaltung der Grenzwerte zu informieren und nachzufragen, mit welchen Massnahmen kurzfristig zu rechnen ist. Falls dieser keine zufriedenstellenden Antworten liefern kann, bleibt lediglich noch der private Einsatz eines Aktivkohlefilters am Hausanschluss, um kurzfristig grenzwertkonforme Trinkwasserqualität zu garantieren.

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